Seit dem 31. Januar 2020 ist der Startschuss für den gesetzlichen Roll-out intelligenter Messsysteme oder auch Smart Meter genannt, in Deutschland gefallen. Bereits vorher haben seit einigen Jahren wettbewerbliche Messstellenbetreiber die neue, smarte Zählertechnologie verbaut. Nun sind auch die grundzuständigen Messstellenbetreiber (in der Regel die Verteilnetzbetreiber) für den flächendeckenden Einbau von intelligenten Zählern zuständig. Der Roll-out startete schnell, wurde aber durch Covid-19 beeinträchtigt und nimmt aktuell wieder an Fahrt auf. Dieser Viewpoint zieht eine Zwischenbilanz und zeigt die ersten Erkenntnisse aus dem flächendeckenden Einbau intelligenter Zählertechnologie.
Jetzt geht es endlich los, oder doch nicht?
Eigentlich sollte der Roll-out der intelligenten Messsysteme schon im Jahr 2017 starten. Energielieferanten, grundzuständige und wettbewerbliche Messstellenbetreiber, Verteilnetzbetreiber und Smart Meter Hardware Hersteller bereiteten sich intensiv auf den bevorstehenden Roll-out vor. Die Umstellung von den herkömmlichen Ferraris-Zählern auf die neue, smarte Zählertechnologie ist komplex und sieht eine Vielzahl von (IT-) Anpassungen bei Messstellenbetreibern, Verteilnetzen und Versorgern vor. Doch der geplante Roll-out der intelligenten Zähler kam nicht, nicht 2017, nicht 2018, nicht 2019. Erst zum 31. Januar 2020 wurde der Roll-out offiziell gestartet. Letzte Voraussetzungen für den Start waren die Zertifizierung von drei Gateways (der Kommunikationseinheit des intelligenten Zählers) unterschiedlicher Hersteller durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie die Markterklärung des BSIs und Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi).
Nach einem knappen Jahr und einer Pandemie, die den Roll-out kurzfristig stoppte, können bereits erste Erkenntnisse gewonnen werden. Neun davon sind im Folgenden erläutert.
1. Intelligente Messsysteme – bitte was?
Die wenigsten Kunden haben schon einmal von einem intelligenten Messsystem gehört – das gilt gleichermaßen für Geschäfts- und Privatkunden. Der Begriff Smart Meter ist da schon etwas verbreiteter, dennoch können die wenigsten mit dem Begriff oder der Technologie etwas anfangen. Denn wenn es dem Thema an einem Punkt nicht mangelt, dann ist es Komplexität. Neben den Verteilnetzbetreibern und Energielieferanten gibt es nun auch noch grundzuständige und wettbewerbliche Messstellenbetreiber. Zudem ist die neue Zählertechnologie umfassender als oft angenommen wird, denn es gibt sowohl intelligente Zähler (moderne Messeinrichtung + Gateway) als auch „nicht-intelligente“ digitale Zähler (moderne Messeinrichtung), die verbaut werden. In der Abbildung auf der folgenden Seite werden die unterschiedlichen Zählertechnologien und zuständigen Messstellenbetreiber dargestellt.
Die Kunden besitzen in der Regel die Möglichkeit, ihren Messstellenbetreiber frei auszuwählen, unabhängig vom Energielieferanten. Ausnahmen gibt es aber natürlich auch bei dieser Regelung. Dies wird in diesem Viewpoint nicht näher beleuchtet. Nur der Netzbetreiber ist je Region festgelegt und nicht frei wählbar. Neben dem fehlenden Fachwissen der Kunden gibt es auch viele Bedenken bezüglich der Datensicherheit, der Funktionalität und des Nutzens dieser neuen Geräte bei zusätzlich höheren Kosten.
Fazit 1: Kundengerechte Aufklärungsarbeit leisten
Damit der Roll-out erfolgreich wird und die Digitalisierung der Energiewirtschaft von der Bevölkerung und Unternehmen in Deutschland unterstützt wird, sehen wir einen großen Bedarf an Aufklärungsarbeit. Auch bei der Neukundenakquise ist der Aufklärungsgrad ausschlaggebend insbesondere bei wettbewerblichen Messstellenbetreibern. Den grundzuständigen Messstellenbetreibern hilft der Aufklärungsgrad der Kunden um Prozesskosten und Kundenkontakte möglichst gering zu halten. Es ist wichtig, über den Nutzen, die Technologie und die Vorteile aufzuklären, um Akzeptanz zu schaffen. Eine flächendeckende Aufklärung ist nur durch Zusammenarbeit von Politik, Netzbetreibern, Energielieferanten, Messstellenbetreibern sowie Verbänden möglich.
2. Connected everywhere – nur leider nicht im Keller oder auf dem Land
Die schlechte Mobilfunk Netzabdeckung bereitet dem Roll-out intelligenter Messsysteme Schwierigkeiten, denn in ländlichen Gebieten sucht man häufig vergebens nach einer ausreichenden Netzabdeckung. Weitere Hürden für den Smart Meter Roll-out sind auch Brandschutztüren und dicke Wände von Neubauten, die der Mobilfunk Konnektivität, im wahrsten Sinne des Wortes, im Weg stehen. Oft sind die Zähler im Keller angebracht, wo die Konnektivität nicht gegeben ist. Natürlich gibt es auch andere Methoden den Zähler oder besser gesagt das Smart Meter Gateway, mit dem Kommunikationsnetz zu verbinden, aber als einer der Standardfälle ist die Verbindung über Mobilfunk vorgesehen. Schätzungen zufolge können aktuell nur rund 60 Prozent der Zähler problemlos über Mobilfunk installiert werden.
Fazit 2: Vorabprüfung der Mobilfunk-Konnektivität, um Kosten zu vermeiden
Damit Anfahrtskosten vermieden und alternative Verbindungsmethoden, wie beispielsweise über Breitband Powerline (BPL) geplant werden können, ist eine „remote“ Vorab-Prüfung ausreichender Mobilfunk Konnektivität sinnvoll. Doch diese Prüfung alleine ist oft nicht ausreichend. Denn auch wenn es eine ausreichende Mobilfunk Abdeckung an dem gewünschten Standort gibt, besteht die Möglichkeit, dass es am Installationsort des Zählers keinen ausreichenden Empfang gibt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine schwere Brandschutztür vor dem Zähler ist oder wenn sich der Zähler in einem Serverraum befindet. Daher empfehlen wir zusätzlich einen Kundenfragebogen zur Prüfung der Möglichkeit, eine stabile Mobilfunkverbindung herzustellen. Zusätzliche besteht die Möglichkeit, Monteure mit mobilen Netzabfrage/-prüfgeräten und verschiedenen Antennen je Einbaubedingung auszustatten.
3. Endlich ein Installationstermin, oder doch nicht?
In der Regel arbeiten die Messstellenbetreiber mit verschiedenen Installationspartnern, die den Smart Meter verbauen, zusammen. Wenn ein Kunde nicht direkt Eigentümer ist, hat er unter Umständen keinen direkten Zutritt zu dem Ort, an dem die Zähler angebracht sind. Das bedeutet, dass der Eigentümer oder Hausmeister ebenfalls für die Zählerinstallation vor Ort sein muss. Die Koordinierung der Terminfindung ist daher komplex und kann zur Unzufriedenheit beim Kunden führen.
Fazit 3: Terminfindung automatisieren und digitalisieren
Um die Terminfindung so unkompliziert und kundenfreundlich wie möglich zu gestalten, empfehlen wir einen Blick auf die einschlägigen digitalen Terminbuchungs-Softwarelösungen. Es ist mittlerweile Standard, dass Kunden Terminwünsche angeben können und während des gesamten Prozesses zum Beispiel durch SMS auf dem Laufenden gehalten werden. Daher empfehlen wir, Wert auf die Kundenerfahrung während des gesamten Terminierungsprozesses zu legen und diesen einfach und kundenfreundlich zu gestalten. Auch wenn es häufiger eine Herausforderung ist, alle Installationspartner an eine Service Plattform anzubinden. In vielen Unternehmen wird die Einführung neuer Tools oftmals durch Bürokratie und langwierige Einkaufprozesse erschwert. Junge Unternehmen sind in diesem Aspekt oft deutlich schneller.
4. Where to play – Abdeckung in ganz Deutschland
Um wirklich eine relevante Rolle auf dem Metering Markt zu spielen, ist es wichtig, viele Kunden zu gewinnen beziehungsweise Zählpunkte zu besetzen. Das heißt, dass insbesondere wettbewerbliche Messstellenbetreiber möglichst in ganz Deutschland ihre Metering Services anbieten sollten. Um die Installation flächendeckend anbieten zu können, ist ein breites und gut funktionierendes Installationsnetzwerk nötig. Dieses aufzubauen ist nicht ganz einfach und ein aufwändiger sowie langwieriger Prozess.
Fazit 4: Aufbau und Management eines deutschlandweiten Netzwerks
Der Aufbau eines Installationsnetzwerkes ist herausfordernd. Zum einen entspricht die Anzahl an Installateuren nicht der hohen Nachfrage und zum anderen ist der Handwerkermarkt in Deutschland stark fragmentiert, mit einer begrenzten Anzahl größerer Installationspartner. Wir empfehlen daher Messstellenbetreibern mit Installationspartnern, die eine hohe regionale Abdeckung haben, zusammenzuarbeiten. Die Verwaltung eines sehr verstreuten Installationsnetzes ist zeitaufwendig und pflegeintensiv, insbesondere bei der Qualitätssicherung und Steuerung. Der Einsatz eines “Installer-Tools”, mit dem alle Installationen verwaltet werden und auf das die Installateure zugreifen können (Workflow-Management-Tool) ist sinnvoll.
5. Datenschutz oder Barriere für Innovation
Der strenge Datenschutz, der auch die Erfassung und Verarbeitung von Messdaten betrifft, hemmt die Entwicklung von Geschäftsmodellen und Innovationen zum Thema Smart Meter. Denn um die Messdaten verarbeiten und dem Kunden relevante Zusatzservices und Produkte anbieten zu können, muss der Kunde zustimmen, dass die Daten verarbeitet werden können. Allerdings geben nur wenige Kunden ihr Einverständnis sofort. Doch die Entwicklung von weiteren Geschäftsmodellen setzt diese Daten unbedingt voraus. Daher ist es wichtig, schon direkt bei Vertragsabschluss die Einwilligung des Kunden zu erhalten. Falls dies nicht passiert, müssen zeit- und kostenintensive Folgekampagnen durchgeführt werden, um die Zustimmung vom Kunden zu bekommen. Dies ist insbesondere für wettbewerbliche Messstellenbetreiber relevant, die weitere digitale Produkte für Up- und Cross-Selling entwickeln möchten. Grundzuständige Messstellenbetreiber bieten den Kunden in der Regel nur minimale Leistungen an.
Fazit 5: Content is King und Nutzerfreundlichkeit Königin
Es ist wichtig, dem Kunden die Vorteile und verschiedenen Mehrwertdienste zu erklären, die er durch die Bereitstellung seiner Daten hat. Als Einsteiger-Zusatzservice erwartet der Kunde eine anwenderfreundliche (Web-)App, mit der er genau seinen Energieverbrauch nachvollziehen kann. Der Kunde hat für diesen Zusatzservice nur eine geringe oder gar keine Zahlungsbereitschaft insbesondere, da der Kunde durch den Einbau der neuen Zählertechnologie ohnehin in der Regel mehr zahlt.
6. Nicht alle über einen Kamm scheren
Geschäfts- und Privatkunden haben unterschiedliche Bedürfnisse, Anforderungen und Erwartungen, wie beispielsweise bei der Abrechnung und den Zusatzdienstleistungen sowie bei speziellen Smart Meter Tarifen. Daher ist es wichtig, die unterschiedlichen Kundengruppen separat zu betrachten. Alle Kunden über einen Kamm zu scheren, führt zur Unzufriedenheit und einer verbesserungsfähigen Kundenerfahrung.
Fazit 6: Kundesegmentspezifisch passende Lösungen schaffen
Wir empfehlen, unterschiedliche Customer Journeys für B2Cund B2B-Kunden zu entwickeln und zu implementieren. Es ist wichtig die unterschiedlichen Kundentypen, wie beispielsweise Großverbraucher, Filialisten, Wohnungswirtschaft oder Eigenheimbesitzer zu kennen und interne Prozesse durch die Kundenbrille zu optimieren. Passgenaue Lösungen, die auf die unterschiedlichen Kundengruppen und deren Bedürfnisse abgestimmt sind, schaffen Kundenzufriedenheit und steigern die Nachfrage. Hierzu eignet sich ein Customer Co-Creation Ansatz, bei dem Prozesse und Produkte gemeinsam mit Kunden entwickelt und verprobt werden.
7. In der Implementierung liegt die Krux
Eine der größten Herausforderungen für Marktteilnehmer ist die Integration der neuen Smart Meter Technologie und des dazugehörigen Produktes in die bereits bestehenden Systeme. Bei den meisten Energielieferanten sind zum Beispiel maximal zwölf Zählerstände pro Jahr im System vorgesehen, die unterschiedlichen Zählertypen, die auch unterschiedliche Preise bedingen, sind nur schwer abzubilden und auch die Datenübertragung und Verarbeitung der Zahlenreihen ist komplex. Die Anpassung von IT-Altsystemen ist ein langwieriger und kostspieliger Prozess, der für die korrekte Darstellung von Smart Meter-Angeboten erforderlich ist. Insbesondere etablierte Player haben große Mühen, die Systeme durch teure und langwierige Projekte anzupassen. Um die Kunden bedienen zu können, werden oft Workarounds implementiert, die nicht skalierbar sind. Für agile Unternehmen bietet diese Ausgangslage eine große Chance, neue kundenfreundliche Produkte schnell auf den Markt zu bringen.
Fazit 7: Skalierbare IT-Lösungen sicherstellen
Wir empfehlen daher bei der IT-Implementierung darauf zu achten, zunächst die Grundlagen für die neue Zählertechnologie, die dazugehörigen Daten und Produkte zu schaffen, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Es ist wichtig, die Systeme von Anfang an richtig aufzubauen, sodass die Lösungen skalierbar und leicht adaptierbar sind. Das neue Geschäft sollte nicht auf einem Workaround aufgebaut sein.
8. Kommunikation gestört
Zum Start des Roll-outs gibt es noch keine standardisierten Kommunikationsflüsse der Marktpartner (Verteilnetzbetreiber, Messstellenbetreiber und Energielieferanten) rund um die neue Zählertechnologie. Die etablierte “Marktkommunikation” (MAKO) zwischen den verschiedenen Akteuren ist nicht vollstän-dig standardisiert. Teilweise findet die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren im Messwesen noch manuell und nicht standardisiert statt. Dies hindert die Massentauglichkeit, ist fehleranfällig und erschwert die Verarbeitung der Informationen bei den verschiedenen Akteuren.
Fazit 8: Einheitliche Kommunikation nach festen Standards
Wir sehen ein großes Potenzial bei der Einführung von standardisierter Kommunikation zwischen allen Marktteilnehmern im Messwesen, um die Fehleranfälligkeit im Prozess zu reduzieren und Kosten zu sparen. Wir empfehlen, aktiv auf die Etablierung von Standards hinzuwirken und sich als Marktteilnehmer aktiv an dem Dialog zu beteiligen.
9. Innovation durch Technologie gehemmt
Die aktuelle Smart Meter Technologie, die flächendeckend durch den grundzuständigen Messstellenbetreiber verbaut wird, sieht eine Erfassung der Messwerten im 15-Minutentakt vor. Diese werden einmal pro Tag an den Messstellenbetreiber übermittelt. Für die Entwicklung von Geschäftsmodellen und weiteren Mehrwertlösungen, ist die Einbindung einer Steuerbox nötig sowie die Übertragung und Möglichkeit der Verarbeitung von Messwerten in hoher Frequenz. Möchte man zum Beispiel Smart Metering im Sicherheits- und Überwachungsbereich anwenden, müssen Daten kurz getaktet übertragen und verarbeitet werden, um zu sehen, ob jemand ein Gebäude betritt oder Teile der Produktion ausfallen. Der große Teil der Kunden, insbesondere Privatkunden mit einem Verbrauch von weniger als 6000 kWh/Jahr, bekommt nur eine moderne Messeinrichtung. Also einen digitalen Zähler ohne Kommunikationseinheit, der somit auch keine Messwerte übertragen kann. Das heißt, der Kunde hat durch den Zählerwechsel zum digitalen Zähler keine Vorteile, wie beispielsweise die digitale Übermittlung des Zählerstandes.
Fazit 9: Ohne kurz getaktete Datensignale geht nichts
Um weitere Anwendungsfälle und Geschäftsmodelle auf der Grundlage von Messdaten zu entwickeln, ist eine deutlich höhere Übertragungsfrequenz und Granularität der Messwerte erforderlich. Daher empfehlen wir auf eine Technologie zu setzen, die eine höhere Frequenz an Datenübertragungen erlaubt sowie Schnittstellen, die die sichere Anbindung von externen Marktteilnehmern ermöglicht.
Schlussfolgerung
Intelligente Messsysteme sind ein wichtiges Element, um die Digitalisierung und Dezentralisierung der Energiesysteme voranzutreiben, Smart Grids auszubauen und somit Grundlage für die Energiewende. Dennoch können aufgrund der eingesetzten Technologie und der sehr restriktiven Regularien zur Datenverarbeitung relevante Zusatzservices nicht oder nur im begrenzten Maße angeboten werden. Daher ist es wichtig, dass die Technologie, die flächendeckend eingebaut wird, verbessert und auch mehr Raum für datenbasierte Geschäftsmodelle gegeben wird. Ebenfalls ist die vollumfängliche Aufklärungsarbeit Grundlage für die erfolgreiche und flächendeckende Einführung von intelligenten Messsystemen.